DOCUMENTA KASSEL 16/06-23/09 2007

Die Teilung der Erde - Schlachthof-Gespräch mit documenta 12 Künstler Dierk Schmidt

21. August, 17:00 Uhr, Kulturzentrum Schlachthof

Foto: Isabel Winarsch
Elf abstrakte Malereien bilden im Aue-Pavillon Die Teilung der Erde – Tableaux zu rechtlichen Synopsen der Berliner-Afrika-Konferenz des Künstlers Dierk Schmidt. Sie sind von den Farben Weiß und einem aggressiven Orange dominiert und in einem begehbaren Display arrangiert. Fünf Tableaux verknüpfen u.a. die Konferenz von 1884/85, die ökonomischen und juristischen Konsequenzen und die 2001 hervorgebrachte Entschädigungsklage. Die schematischen Abbildungen werden durch grafische Elemente, Silikonauflagen, Überlagerungen und Texte ergänzt. Das abschließende Bild in Öl ist das Konterfei der Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul. Zwischen diesen Arbeiten, wo Legenden die Abbildungen der Historie um eine Ebene erweitern, sieht sich der/die BetrachterIn inmitten einer weitläufigen Komplexität. Im Schlachthof-Gespräch mit Dierk Schmidt konnten sich BesucherInnen gemeinsam mit dem documenta 12 Künstler auf die Spurensuche in der Serie Teilung der Erde begeben.

Seit mehreren Jahren beschäftigt sich der in Berlin lebende Künstler Dierk Schmidt mit dem Begriff des Historienbildes bzw. mit den Möglichkeiten einer neuen, einer erweiterten Definition dessen. Es ist eine Fortwicklung des Verständnisses des Historienbildes, weg von der Abbildung hegemonialer Verhältnisse hin zu einer selbstreflexiven Auseinandersetzung und Abbildung gesellschaftlicher Verhältnisse.

Foto: Jens Ziehe / documenta GmbH
„Wie kann sich Malerei also mit Aktualität befassen?“
Eine zentrale Frage, deren Beantwortung sich Schmidt Schritt für Schritt annähert. Erlangt die Malerei vielleicht genau dann jene ihr implizite Kraft der Repräsentation, wenn es keine verfügbaren Bilder zum Ereignis gibt? Schmidt realisierte 2001 ein Tryptichon bestehend aus Xenophob - Schiffsbruchszene, gewidmet 350 ertrunkenen Asylsuchenden im indischen Ozean, 19. Oktober 2001 am Morgen, in Referenz zu Das Floß der Medusa von Théodore Géricault, Freiheit, das sich auf einen Nike-Clip mit dem Fußballer Ronaldo bezieht und zugleich Beziehung zu Eugène Delacroix’ Die Freiheit auf den Barrikaden aufnimmt. Bis heute hängen die beiden an der gleichen Stelle des Louvres. Im Mittelbild Louvre 2001/Salon Carré 1819 nimmt Schmidt diese Platzierung auf, aktualisiert jedoch die Sujets.

Xenophob
thematisiert das schreckliche Schicksal von indonesischen Flüchtlingen vor der Küste Australiens. Dort ging ein mit 497 Menschen voll besetztes Boot unter – bis heute hat die Regierung Australiens dazu nicht Stellung genommen. Erst der immense Rechercheaufwand Schmidts brachte die Puzzleteile in mühsamer Kleinarbeit zusammen, gab dem Ereignis Stimme und damit auch eine aktive Teilhabe der australischen Regierung an dem Untergang ans Licht.

Die Fragen der Gegenwart an die Geschichte und deren Visualisierung, so wird klar, können nur fragmentarisch beantwortet werden. Die schrittweise Annäherung an eine Repräsentation, die sich einer direkten Informationsvermittlung entzieht, ist ein Potenzial, das dem Medium der Malerei obliegt.

Foto: Isabel Winarsch
Die im Aue-Pavillon der documenta 12 ausgestellte Teilung der Erde ist das Ergebnis langer Recherche einer reflexiven Auseinandersetzung des Küsntlers mit der deutschen Kolonial-Geschichte und Politik. Die Nutzung von Techniken wie z.B. der Überlagerung von Materialien wie Silikon, Ölmalerei auf Folie oder Nessel entwickeln eine eigene Formensprache.
In der kritischen Auseinandersetzung mit kolonialem Wissen stellt Schmidt die Frage „Inwieweit ist internationales Recht auch koloniales Recht?“ Ist das Recht, wie wir es kennen, zudem in der Lage, Geschichte zu reflektieren?
Die Bilderserie teilt sich in vier Installationsebenen auf.
1.    Orange Bilder mit Codierung
2.    Sprachliche Ebenen zur Decodierung
3.    Schrittebene
4.    Ein Porträt auf Folie von Heidemarie Wieczorek-Zeul

In der von Bismarck einberufenen Berliner-Afrika-Konferenz 1884/1885 entschieden die 14 europäischen Teilnehmer und die USA darüber, den kontinentalen Sklavenhandel abzuschaffen und den afrikanischen Kontinent in Kolonien aufzuteilen. Der Freistaat Kongo wurde König Leopold II aus Brüssel übergeben, dessen Eigentümer er ab diesem Zeitpunkt war.
Die strukturelle Gewalt, die in den Artikeln der Afrika-Konferenz so ihren Ausdruck fand, ließe, so Schmidt, nur ein abstraktes Bild zu. Der Künstler verfolgt mit den weißen Bildern der Serie die Abarbeitung der Gewalt. Darüber hinaus benennt er auch die Traumatisierung und gibt jenen, die ihre Sprache verloren haben, jenen Raum zurück, in dem sie gehört werden können. Eine Schrittfolge, die sich auch auf internationales Recht bezieht. In Relation dazu lassen sich auch die Silikon-Überlagerungen auf den Bildern lesen. Dierk Schmidt bezeichnet die vollzogenen Brüche als Metaphern für ein entrechtetes Da-sein.
Die orange Karte zeigt ein mögliches Bild der Berliner-Afrika-Konferenz, in weiß vom Kongo durchzogen. Im Laufe der Ökonomisierung wurden der Fluss und der Bau einer Eisenbahnlinie zu Streitpunkten zwischen dem in Namibia beheimateten Volk Volk der Herero und der deutschen Kolonialverwaltung. Die Deutschen vertrieben die Herero mit Krieg aus ihrem Gebiet, der im Genozid mündete. 2004, also 100 Jahre später, entschuldigte sich die Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Heidemarie Wieczorek-Zeul bei den Herero mit dem „Vater unser“.

Foto: Isabel Winarsch
Das Bild der vierten Ebene zeigt die sichtlich bewegte Ministerin nach dem Gebet. Mit dem Bekenntnis zur politischen und moralischen Verantwortung der deutschen Kolonialverwaltung bezog Wieczorek-Zeul eindeutig Stellung und führte so auch den Genozid als Begriff in diesen Kontext ein. Bis dato hatte die bundesrepublikanische Regierung diesen Begriff stets vermieden und gar verboten. Der deutsche Staat lehnt allerdings bis heute Reparationszahlungen ab: Die Herero haben in den USA Klage dagegen eingereicht.  

Die Arbeit Die Teilung der Erde – Tableaux zu rechtlichen Synopsen der Berliner-Afrika-Konferenz ist eine individuelle Form von alternativer Geschichtserzählung. Schmidt hat zum einen Lücken in der Repräsentation geschlossen – und gleichzeitig auch wieder neue eröffnet. „Es ist permanent beides“, antwortet Schmidt einer Besucherin und führt dabei aus, dass es schließlich erst die Recherchen sind, nicht unbedingt die visuelle Abbildung, die Lücken schließen. So gehe es auch nicht um Rationalität, sondern darum, dass Pfade angezeigt werden. Nicht die unmittelbare Transparenz sei das Ziel einer solchen Arbeit, sondern die Reibung. Und dafür, so Schmidt, „ist der Crystal Palace ein super Ort.“


Silke Kachtik

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