d8 1987
Die achte documenta im Jahr 1987 war gleichzeitig die zweite für den künstlerischen Leiter Manfred Schneckenburger. Eingebettet in die Fragestellung nach der gesellschaftlichen Relevanz der Kunst im Spannungsfeld von Autonomie und Anwendung sollten die wechselseitigen Berührungspunkte zwischen Design, Kunst und Architektur untersucht werden. Dabei kam es Schneckenburger aber nicht allein auf die klassische Trennung zwischen Freiheit und Indienstnahme der Kunst an. Vielmehr sollte das Veränderungspotential der Kunst, sowohl im Bereich gesellschaftlicher Utopien als auch im Bereich der angewandten Gestaltungsbereiche, thematisiert werden, die angesichts der aktuellen Ereignisse (ein Jahr nach Tschernobyl) in eine Krise geraten waren.
Mit Werken verschiedener Künstler über Krieg, Unterdrückung und Gewalt, die in den Räumen des Fridericianums gezeigt wurden, verdeutlichte Schneckenburger den Utopieverlust der Gegenwart. Anschaulich wurde dies zum Beispiel an Marie-Jo Lafontaines monumentaler Video-Installation „Les Larmes d’Acier“, die zu den getragenen Klängen einer Callas-Arie einen jungen athletischen Mann bei der Ausübung von Muskeltraining zeigte. Die geschickte Kombination verschiedener Pathosformeln, die monumentale Überhöhung des Körperkultes und die unheimliche Verbindung von Mensch und Maschine im Nutzen der Ästhetik führten zu einer beklemmenden Faszination, die von Besuchern sowohl mit Unbehagen als auch mit Begeisterung aufgenommen wurde. Aber auch die letzte große Installation des im Jahr zuvor verstorbenen Joseph Beuys „Blitzschlag mit Lichtschein auf Hirsch“, die mit den kühlen Materialien Aluminium und Bronze ein eher distanziertes Verhältnis zum früheren emphatischen Veränderungsbewusstsein des Künstlers aufwies, konnte in diese Richtung gelesen werden. Auch die Ausweitung der Ausstellung auf die gesamte Stadt Kassel, die Schneckenburger als „kritische Interventionen ins Stadtbild bezeichnete“, sollte verdeutlichen, wie sich Kunst kommentierend zu den Belangen des öffentlichen Lebens verhalten kann. Ian Hamilton Finlay stellte eine Reihe von Guillotinen, die er mit Zitaten aus der blutigen Geschichte der Französischen Revolution versah, in eine Blickachse der barocken Parkanlage der Aue, und verband so Ästhetik und gesellschaftliche Umwälzungen entlang der zeitliche Achse des 18. Jahrhunderts.
Als Gegenpol manifestierte sich in der Orangerie der ausgeweitete Kunstbegriff des künstlerischen Leiters: dort wurde Architektur und Design ein Forum gegeben, wodurch die eindeutige Trennung von ’Autonomie und Anwendung’ der Kunst aufgehoben wurde. Die Zugänge und Vorschläge der Künstler schwankten auch hier zwischen fatalistischen Entwürfen, z.B. dem Modell der österreichischen Architekten Haus-Rucker-Co für ein Museum als nukleares Endlager der Kunst, und Präsentationen wie der des französischen Künstlers Ange Leccia, der auf einer Plattform lapidar das neueste Modell eines Mercedes-Autos als Kunstwerk ausstellte.