d11 2002
Okwui Enwezor, ein erstmals nicht aus Europa stammender künstlerischer Leiter, demonstrierte mit der Documenta11 und seinem Team von sechs Co-KuratorInnen aus sechs verschiedenen Ländern ausdrücklich Internationalität und Weltoffenheit. Im Sinne des Konzeptes, die documenta als Weltkunstausstellung unter globalen, postkolonialen Prämissen zu einer ganzheitlich internationalen Erfahrung zu machen, luden sie KünstlerInnen aus Ländern nach Kassel, die dort nie zuvor vertreten waren.
Sowohl inhaltlich, als auch zeitlich und geografisch war die Documenta11 deutlich breiter gefasst als ihre Vorgänger. Enwezor entzerrte das Kunsterlebnis, indem er die documenta an fünf unterschiedlichen Orten weltweit stattfinden ließ. Von diesen so genannten Plattformen war die fünfte die in Kassel stattfindende Ausstellung; die ihr zeitlich vorangegangenen weiteren Plattformen stellten Vortrags- und Diskussionsveranstaltungen dar, die aktiv und kritisch die zeitgenössischen Problematiken von Kunst, Politik und Gesellschaft untersuchten. Dabei ergänzte und reflektierte die Ausstellungsplattform die Diskussionsplattformen und stellte keineswegs eine bloße Illustration der theoretischen Diskurse dar. Die Verzahnung der Plattformen demonstrierte vielmehr, dass ästhetische Erfahrung eine auf Wissen und Urteilsvermögen angewiesene intellektuelle Tätigkeit ist. Dennoch zeigten sich viele der ausgestellten Werke auch ohne tieferes Hintergrundwissen durch eingängige Beobachtung zugänglich. So zum Beispiel Georges Adéagbos Assemblage L’explorateur et les explorateurs devant l’histoire de l’exploration…! Le théâtre du monde. Der Künstler stellte dort Bilder, Zeichen, Texte und weitere Fundstücke aus, die sich auf den unmittelbaren Ausstellungsort und –anlass bezogen und schuf somit eine Form offenen enzyklopädischen Wissens, welches gängiges, westeuropäisch geprägtes Wissen hinterfragte.
Ein neuer Rekord war das Resultat dieses globalen und diskursanalytischen Konzeptes: 650.000 BesucherInnen kamen, um die mit rund 450 Werken auf einer Gesamtausstellungsfläche von 13.000 Quadratmetern bis dato größte documenta zu begutachten. Wie bereits zuvor fanden Teile der documenta im Fridericianum, im Kulturbahnhof, in der Orangerie und der Karlsaue statt; zusätzlich wurde noch die Binding-Brauerei als Ausstellungsort erschlossen.
Enwezors hinter der globalen Ausrichtung der Ausstellung stehende Frage, „wie die aktuelle Kunst in all ihren verschiedenen Ausprägungen sich in einer dialektischen Beziehung zur gesamten globalen Kultur weiterentwickeln“ könne, beantwortete er schließlich vorsichtig. In Anbetracht der aktuellen politischen, technologischen und ideologischen Konfrontationen, Entwicklungen und Vermischungen sei dies äußerst „schwierig und heikel“. So ließ Enwezor das Publikum über die „Aussichten der aktuellen Kunst und ihre Position bei der Erarbeitung von Interpretationsmodellen für die verschiedenen Aspekte heutiger Vorstellungswelten“ letztlich im Unklaren, lieferte mit seiner Documenta11 jedoch einiges an Reflektionsmaterial zum Thema. Entschieden war der mit der Ausstellung verbundene Tabubruch. Enwezor stellte die behauptete Vormachtstellung der westlichen Kultur in Frage, indem er in seinem Modell von Kultur die Zentren von Entwicklung und Bezugnahme verschob, beziehungsweise umkehrte.